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Arbeitslose schlechter behandeln?

Der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling von der ÖVP (ehemals „Christlichsoziale“) wetterte kürzlich gegen Arbeitslose. Zuerst meinte er in einem Interview, das Arbeitslosengeld sei in Österreich zu hoch und Arbeitslose hätten dadurch zu wenig Anreiz, einer regulären Erwerbstätigkeit nachzugehen. Und dann bezog er sich in seiner Kritik der aktuellen Arbeitsmarktpolitik auf die Zumutbarkeitsregeln (siehe hierzu z.B. diesen Artikel vom 28.7.2015). Auf gut Deutsch übersetzt heißt das: man müsse die Bedingungen von Arbeitslosen verschlechtern, damit sie schlechtere Jobbedingungen akzeptieren.

Wir möchten dazu ein paar Gedankenspiele anstellen und dadurch diese sehr einfache und provokante These des Finanzministers kritisch prüfen. Kritische Fragestellungen dazu könnten beispielsweise lauten: Sind die Bedingungen von Arbeitslosen wirklich so angenehm? Ist der Mensch grundsätzlich arbeitsunwillig (faul) und somit der nicht arbeitende Mensch glücklicher? Ist Vollbeschäftigung trotz technischem und wirtschaftlichem Fortschritt und Globalisierung noch realistisch? Hilft eine Verschlechterung der Arbeitslosenabsicherung trotzdem, um das Beschäftigungsniveau zu heben? Sollten stattdessen die Arbeitsbedingungen verbessert und Jobs besser aufgeteilt werden? Oder ist das Klagen der Menschen über steigende Stressniveaus, Arbeitsanforderungen, Arbeitszeiten, atypische Arbeitsverhältnisse, niedrige Gehälter und Praktika trotz mühsamem Studienabschluss, Altersarbeitslosigkeit, u.ä. übertrieben und an fehlender Resilizenz liegend? Muss man Unternehmen das Anstellen von Personal attraktiver machen, indem man das Personal durch schlechte Arbeitslosenbedingungen williger und durch geringere Löhne billiger macht? Oder sollte stattdessen der Staat Einkommen arbeitnehmer- und unternehmerseitig weniger besteuern und dadurch attraktive Löhne und Arbeitsbedingungen für Unternehmen einfacher leistbar machen? Sind zu wenige Menschen zu schlecht ausgebildet, oder Universitäten und andere Bildungseinrichtungen zu praxisfern? Und apropos Universitäten und attraktive Arbeitsbedingungen eine Nebenfrage: wieso wird seitens des universitären Geldgebers, also seitens des Staates, akzeptiert, dass sich Universitätspersonal seit Jahren in falschen Arbeitsverhältnissen auf hohem Niveau abmüht (die meisten Universitätsassistentenstellen sind bekanntlich nur mehr als Teilzeitstellen ausgeschrieben und bezahlt, obwohl Lehre und gleichzeitige Forschung und sonstige Unterstützung von Professoren und Insituten deutlich mehr Arbeit für „Teilzeit“-Universitätsassistenten bedeuten – und dies noch dazu nach langer und unvergüteter Ausbildung ebendieser)?

Werfen wir einen näheren Blick auf die Einkommenssituation eines durchschnittlichen österreichischen Arbeitnehmers und folglich eines durchschnittlichen Arbeitslosen:

Das Medianeinkommen liegt in Österreich bei ca. 1900 Euro brutto (2010, ohne Sonderzahlungen, siehe hier und zur Entwicklung hier), bei Arbeitern etwas darunter (ca. 1700 Euro), bei Angestellten etwas darüber (ca. 2200 Euro). D.h. 50% der Österreicher verdienen weniger als 1900 Euro brutto, was ca. 1350 Euro netto bedeutet (hier im Juli 2015 berechnet). Das Arbeitslosengeld würde bei einem früheren Monatseinkommen von 1900 Euro brutto zwischen €850 und €900 betragen (berechnet hier auf der AMS-Webseite unter der Annahme, dass Arbeitslosengeld ab Juli 2015 – ohne Familienzuschläge – bezogen wird und im Vorjahr monatlich 1900 Euro brutto verdient wurden).

Ein durchschnittlicher österreichischer Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin muss also von € 1.350 Wohnung, Essen, ggf. Auto, etwaige Kredite, wenn es nach der ÖVP geht auch private Altersvorsorge, etc. finanzieren. Für etwaige arbeitslose Zeiten dürfte dabei nicht viel zum Sparen übrig bleiben. Und einmal arbeitslos, so muss einE durchschnittlicheR ÖsterreicherIn mit ca. € 900 auskommen.

Angesichts dieser Zahlen (und Arbeitslose kommen bekanntlich oft aus unteren Einkommensschichten) erscheint weder das Arbeiten noch arbeitslos sein sehr reizvoll, aber unseres Erachtens kann man davon ausgehen, dass Frau und Herr Österreicher im Normalfall lieber unter fairen – und selbst unter den gängigeren unfairen – Bedingungen arbeiten als arbeitslos zu Hause sitzen würden. Allein schon wegen des vor allem in ländlichen Gegenden verspürten sozialen Drucks.

Und was macht (legal und nicht atypisch angestellte) Arbeitnehmer für Unternehmen teuer? Zu hohe Ansprüche von ArbeitnehmerInnen aufgrund von zu guter sozialer Absicherung wie durch die Mindestsicherung, so wie sie Finanzminister Schelling kritisiert? Sehen wir uns zu dieser Frage die Zusammensetzung der Kosten unseres vorher skizzierten durchschnittlichen Österreichers für Unternehmen an:

Damit einem/r DurchschnittsösterreicherIn am Monatsende nach Steuern € 1350 am Konto übrig bleiben (ca. € 8,4 pro dem Unternehmen gewidmeter Stunde), muss das Unternehmen nicht nur den Bruttobetrag von ca. € 1900 überweisen (der Differenzbetrag fließt bekanntlich fast zur Gänze direkt an den Staat), sondern zusätzlich noch ca. € 590 an Steuern, Beiträgen und Gebühren direkt an die öffentliche Hand abliefern. Die Gesamtkosten unseres durchschnittlichen Arbeitnehmers belaufen sich somit für ein Unternehmen auf ca. € 2490, und davon gehen ca. € 1100, also fast soviel wie letztlich für den Arbeitnehmer übrig bleiben sollen, an das Finanzministerium (zur Berechnung und Verwendung der Steuern und Gebühren siehe den vom Finanzministerium unterstützten Brutto-Netto-Rechner, Kalkulation durchgeführt im Juli 2015).

Natürlich erhalten sowohl ArbeitnehmerInnen wie auch ArbeitgeberInnen für die geleisteten Abgaben vom Staat Leistungen wie Pensionen, Gesundheitsfürsorge, Gemeindedienstleistungen, Infrastruktur, Sicherheit, Bildung u.ä. zurück. Doch dass der Staat von ArbeitnehmerInnen und gar Arbeitslosen zur Senkung der Kosten für Staat und Unternehmer einen Verzicht auf unterstellte „Privilegien“ verlangt, erscheint uns angesichts der vorherrschenden Arbeits(losen)bedingungen und der hohen staatlichen Steuern auf Arbeit nicht vernünftig und menschlich nachvollziehbar.

Stattdessen könnte der Staat sich darum bemühen, die Steuerlast sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer zu senken, indem er Arbeit weniger stark besteuert, sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer attraktivere Anstellungsbedingungen fördert, Verwaltungsausgaben reduziert oder Steuern an weniger sensiblen Stellen als bei Einkommen einhebt.

TV Hinweis: Im ZiB 2 Interview vom 27.07.15 mit Schelling stellte auch Armin Wolf die Frage, ob Arbeitsloseneinkommen und Mindestsicherung denn wirklich zu hoch oder nicht stattdessen die Löhne zu niedrig seien. Die Frage nach der Höhe des Arbeitslosengeldes bei einem beispielhaften Verdienst von 2000 Euro brutto konnte oder wollte Schelling dabei nicht beantworten, er stellte dafür aber auch die Höhe der Mindestsicherung für Familien in Frage.

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