Über das Gute am Schlechten, die Heimat und die Bildung

"Sie lassen den Kopf hängen, Sie zeigen sich schlaff, und das mit völligem Unrecht. Denn die bunten und lustigen Möglichkeiten des Lebens beginnen so recht erst jenseits jener gründlich aufräumenden Katastrophe, die man treffend als den bürgerlichen Tod bezeichnet, und eine der hoffnungsreichsten Lebenslagen ist die, wenn es uns so schlecht geht, dass es uns nicht mehr schlechter gehen kann."

"Wie leicht, wie ungeduldig, geringschätzig und unbewegt lässt der ins Weite stürmende Jüngling die kleine Heimat in seinem Rücken, ohne sich nach ihrem Turme, ihren Rebhügeln auch nur einmal umzusehen! Und doch, wie sehr er ihr auch entwachsen sein und ferner entwachsen möge, doch bleibt ihr lächerlich-übervertrautes Bild in den Hintergründen seines Bewusstseins stehen oder taucht nach Jahren tiefer Vergessenheit wunderlich wieder daraus hervor: das Abgeschmackte wird ehrwürdig, der Mensch nimmt unter den Taten, Wirkungen, Erfolgen seines Lebens dort draußen geheime Rücksicht auf jene Kleinwelt, an jedem Wendepunkt, bei jeder Erhöhung seines Daseins fragt er im stillen, was sie wohl dazu sagen werde oder würde, und zwar gerade dann ist dies der Fall, wenn die Heimat sich mißwollend, ungerecht, unverständig gegen den besonderen Jüngling verhielt. Da er von ihr abhing, bot er ihr Trotz; da sie ihn entlassen musste und vielleicht längst vergessen hat, räumt er ihr freiwillig Urteil und
Stimme über sein Leben ein. Ja, eines Tages, nach Ablauf vieler für ihn ereignisreicher, veränderungsvoller Jahre, zieht es ihn wohl persönlich an jenen Ausgangspunkt zurück, er widersteht nicht der Versuchung, erkannt oder unerkannt, sich im erlangten fremden und glänzenden Zustande der Beschränktheit zu zeigen und, viel ängstlichen Spott im Herzen, sich an ihrem Staunen zu weiden ..."

"...mir selbst überlassen, sah ich, ..., wiederum eine längere Warte- und Mußezeit vor mir liegen, wie sie dem höheren Jüngling zu stillem Wachstum so willkommen, so notwendig ist. Bildung wird nicht in stumpfer Fron und Plackerei gewonnen, sondern ist ein Geschenk der Freiheit und des äußeren Müßigganges; man erringt sie nicht, man atmet sie ein; verborgene Werkzeuge sind ihretwegen Tätig, ein geheimer Fleiß der Sinne und des Geistes, welcher sich mit scheinbar völliger Tagdieberei gar wohl verträgt, wirbt stündlich um ihre Güter, und man kann wohl sagen, dass sie dem Erwählten im Schlafe anfliegt. Denn man muss freilich aus bildsamem Stoffe bestehen, um gebildet werden zu können. Niemand ergreift, was er nicht von Geburt besitzt, und was dir fremd ist, kannst du nicht begehren."

(Drei vieler gut getroffener Aussagen - scheinbar nicht umsonst ist im Vorwort die Meinung "Es gibt Stellen im Felix Krull, die Anwartschaft auf immerwährende Berühmtheit haben" zu lesen- Thomas Manns in "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull"; die zitierten Textstellen sind nachlesbar auf den Seiten 53f und 56f bzw. im dritten Kapitel des "zweiten Buches" in der Ausgabe der "Fischer Bücherei" von 1970)

Die Textstellen wurden dem Archiv und dort den Themen Heimat, Philosophie/Glück, Schule und Lehrmethoden und außerdem Oberdenker´s gesammelten Materialen zu Angststörungen u.ä. hinzugefügt.

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