Zur kriegerischen Haltung der momentanen US-Führung (ggü. der friedlichen, "schwächlichen" Haltung der EU)

"...in den USA existieren zwei Strömungen mit antagonistischem Hintergrund. Auf der einen Seite gibt es die missionarisch universalistische Richtung, von Wilson-demokratischer Inspiration, die bestrebt ist, auf der Welt die "Vorteile" der marktwirtschaftlichen Zivilisation unter Beachtung der Menschenrechte und der Vielfalt zu verbreiten. Der Präsident Jimmy Carter verkörpert diesen Bewusstseinstyp. Er hat es immer verneint, für die Entwicklung dieser den Menschen befreienden Mission Waffengewalt in Betracht zu ziehen... Der Wilsonismus kann sich tatsächlich leicht zu "demokratischem" Imperialismus degenerieren und dabei jenen "zivilisierenden" Kolonialismus des 19 Jahrhunderts wiederherstellen, welcher bekanntlich ganze Völker mit dem Versprechen, dass er ihnen den Fortschritt zugänglich mache, unterwarf.
Auf der anderen Seite gibt es die einzelgängerische[?: particularista], us-amerikanische Richtung, verkörpert seit Ende der 70er durch Ronald Reagan, welcher meint, die Mission der Vereinigten Staaten sei es, der Welt als Beispiel zu dienen, indem sie gegen alles, was sich - sozial, militärisch, ökonomisch und kulturell - gegen das amerikanische Modell - gesehen als das Ideal für die Menschheit - richten könnte, kämpfen.
Seit Anfang der 80er Jahre liefern sich diese zwei Richtungen einen offenen Kampf. ... Mit dem Sieg von Bush junior entstand eine Entwicklung, welche die politische Überlegenheit der kriegerischen, fundamentalistischen und konservativen Strömung belegt. ...
Man kann einige ideologische Varianten unterscheiden welche, obwohl sie untereinander in Konkurrenz stehen, die Idee des American way of life als den besten der Welt, teilen. Seit den 80er-Jahren fand das Denken von Francis Fukuyama [Der letzte Mensch = dt. Titel seines bekannten und politisch vielbeachteten Buches, Anm. des Übersetzers], ehemals Funktionär der Staatsabteilung[?], großen medialen Anklang und es erfüllt exakt die Anforderungen des marktwirtschaftlich universalistischen Imperiums, welches aus dem Triptychon Marktwirtschaft, Menschenrechte und antistaatlicher Liberalismus den unantastbaren Kern seiner Expansion macht. ...Fukuyama behauptet zu beweisen, dass das us-amerikanische System das beste ist und das es kein anderes, mögliches gibt. Jede Opposition gegenüber diesem System ist ein Angriff auf die Wahrheit der Geschichte, auf das Ende, welches sich in den USA findet. ([Anm. in der Fußnote:] sowohl Fukuyama als auch Samuel Huntington haben sich der immensen us-amerikanischen Kulturindustrie bedient, um ihre Ansichten zu vermarkten, auf Kosten von großen us-amerikanischen Denkern wie Fredric Jameson, Edward Said oder John Rawls*. Der Fall Fukuyama ist karikaturistisch. Seine Prosa ist eine arme Umschreibung der Funken der Genialität von Alexandre Kojève, den Einführer[?] des hegelschen Denkens in Frankreich... Kojève hält den American way of life für eine "Rückkehr zur Animalität[?]"...)
Anfang der 90er war es das Denken von Huntington** das großen Erfolg hatte. Dieser Autor situiert sich nicht im philosophischen Terrain, sondern im kulturellen... Samuel Huntington, Ideologe und während einer kurzen Periode Architekt des antikommunistischen Kampfes, entwickelte als es mit dem sowjetischen System zu Ende ging die effizienteste Ideologie des kulturellen Imperialismus der USA. In Kampf der Kulturen teilt er das Kulturwesen [?] in sieben oder acht Kulturen ein: ... Der entscheidendste Kampf ist jener der abendländischen Kultur mit "dem Rest der Welt", weil der Okzident ... seine kulturelle Überlegenheit verteidigt. Dieser Konflikt der Zivilisationen kann sich in einen offenen Krieg verwandeln, vor allem gegen den Islam und den Konfuzianismus, weil diese zwei Zivilisationen stark sind (Öl und Bevölkerung) und sich nicht leicht dem imperialen, abendländischen Ethos unterwerfen werden. Trotzdem, obwohl die "Analyse" Huntington´s im medialen und politischen Universum Anklang gefunden hat, ist es schwierig, in Europa einen Denker von Format zu finden, welcher sich herabgelassen hätte, sie auf seriöse Weise zu diskutieren. Aber das ist ein Fehler, weil sie hat sich in eine einfache und widersprüchliche Kampfwaffe ... für die Ideologie der wichtigen Gruppen der us-amerikanischen Verwaltung und der internationalen Presse verwandelt. ...
Offensichtlich sind weder Francis Fukuyama noch Samuel Huntington für den interventionistischen Messianismus[?] von Paul Wolfowitz, Nummer zwei des Pentagons, oder für die Drohungen gegenüber dem Rest der Welt vom Verteidigungssekretär, Donald Rumsfeld, und seines Beraters Richard Perle, verantwortlich. ...in gewisser Weise stellt die neue "zivilisierende" Variante, repräsentiert durch diese Strömung, einen Bruch innerhalb der amerikanischen Kultur dar, welcher einer Spezies von modernem Neofaschismus Raum verschafft. ... Trotz der beträchtlichen Verstärkung des repressiven Arsenals gegenüber Ausländern, der polizeilichen Überwachung, der die amerikanischen Bürger unterworfen sind, der moralischen Ordnung, eingeführt durch Bush junior und seine Regierung, der religiösen Strömung, welche die USA durchquert (man sagt, dass mehr als siebzig Millionen Gläubige sich regelmäßig in den Kirchen versammeln, um die evangelischen Prediger konservativer und ethnozentrischer Ausrichtung zu hören), trotz einschließlich der Entscheidung, Gebetsrunden im Kongress zu verordnen, der extremen Aggressivität des amerikanischen Heeres in der Welt, kann man das politische System der USA nicht als faschistisch einstufen: die demokratischen Mechanismen sind nach wie vor gültig. Dafür ist klar, dass die wichtigsten Dirigenten der USA beeinflusst sind durch eine gewisse, neofaschistische Ideologie...
"Anstatt sich mit dem Thema aufzuhalten, dass Gewalt das letzte Mittel sein soll", sagt Perle "muss man möglichst exakt den besten Moment und die besten Umstände wählen[?], um auf sie zurückzugreifen." Mit anderen Worten, der Einsatz von Gewalt ist nicht eine Ausnahme; er ist normal, weil er ist ein Mittel wie jedes andere zur Lösung von Konflikten. ... Die Idee, dass der Einsatz von Gewalt ein letztes Mittel ist, hat seine Wurzeln in der säkularen, politischen Philosophie... Hobbes, ...der Autor des Leviathan, begründet die legitime Autorität im Gesetz und nicht in der Gewalt. ... Der Diskurs von Richard Perle ist einschneidend[/scharf/kategorisch]: er drückt eine Konzeption der internationalen Beziehungen begründet in der Stärke/Gewalt[fuerza] aus. Der Europakommissar Chris Patten bemerkte, dass er sich [angesichts dieser Aussagen von Richard Perle in einer Debatte mit ihm - im Frühjahr 2001?] fragte, ob es sich um einen Alptraum handelte... ([In der dieses Kapitel abschließenden Fußnote:] Am 26. Juni 2003 erklärte Condoleezza Rice, Beraterin von Präsident Bush in Sicherheitsangelegenheiten, vor dem Internationalen Institut für Strategische Studien von London, dass das Konzept der "multipolaren Welt" gefährlich und teuflisch sei weil es auf der "Rivalität der Nationen" basiere. Von nun an, fügte sie hinzu, müsse man sich der aufgezeigten[?] Führung der "Macht im Dienste der Freiheit", den Vereinigten Staaten von Amerika, unterordnen. Dieser brilliante Vorschlag verdient keinen Kommentar.***" (Aus: El imperio frente a la diversidad del mundo von Sami Nair, S. 101-110 bzw. Kapitel Das Recht des Stärkeren [La razón del más fuerte]; mit bestem Wissen und Gewissen übersetzt von ob; Titel auch von diesem hinzugefügt; bei mit [?] markierten Wörtern sinngemäße Übersetzung wahrscheinlich, aber unsicher; die Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe mit der ISBN 8497933877)

Anm. des Übersetzers (ob): Für diese Hardliner (Perle, Rice, ...) wäre also "passiver" Widerstand a lá Ghandi oder das Bemühen um Konsens ein Zeichen von Schwäche...
* zitiert auch von uns bezüglich seiner A Theory of Justice bzw. "eigennütziger Selbstlosigkeit" (eigene Beschreibung/-titelung)
** Sehr gut kritisiert auch in einem der Bücher eines "meiner" spanischen Professoren, Alejandro Lorca - genaueres auf Anfrage.
*** Aber ich möchte doch anmerken, dass mich die Überlegung hinsichtlich dieser Sichtweise von Rice bald an Brave New World (kreiert von Huxley) erinnert hat, in welcher kein Platz für die distinkte Lebensweise der Indianer ist (bzw. nur in Reservaten als Attraktion bzw. aus Erziehungsgründen: zur Abschreckung...) und welche irgendwie ausweglos erscheint.

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