Helmuth von Glasenapp in: Die fünf Weltreligionen

 

Den Tod muss der Weise mit Ruhe hinnehmen, da er nichts daran ändern kann.
Chu Hsi, Konfuzianismus

 

Aus dem Teil über Hinduismus

 

Nach indischer Anschauung gibt es zwei Verhaltensweisen in der Welt: das tatkräftige Handeln (pravritti) und das beschauliche Sich-Zurückhalten vom Tun (nivritti)...Die quietische Abwendung vom Werk soll demgegenüber zum Erlöschen des Lebenswillens und dadurch zur Vernichtung der Möglichkeiten der Wiedergeborenwerdens und zur Erlösung führen. Diese "Nivritti" ist aber stets nur von einer Minorität praktisch durchgeführt worden, von entsagenden Asketen, die der irdischen Existenz müde geworden sind. (S 213)

 

Über Meditation

 

...Mentalität der asiatischen Völker, welche sich in beschaulicher Ruhe in sich selbst zurückzuziehen vermögen. Das ist eine Fähigkeit, welche vielen Europäern abgeht, da sie die Anlagen dazu haben verkümmern lassen.

 

Aus dem Teil über Chinesischen Universismus (Taoismus)

 

Über Lao-Tse:

"Keine größere Schuld gibt es als Billigung der Begierden, kein größeres Übel, als sich nicht bescheiden zu wissen, kein schlimmeres Unheil als die Sucht nach Gewinn."

Abseits von der Menge, in stiller Ruhe unerschütterlich, im Bewusstsein seiner eigenen Stärke ohne Streitsucht gleicht er dem Wasser, das allen Wesen nützt, obwohl es gering geachtet in der Tiefe wohnt. Nach dem Vorbilde des Tao ist das Handeln der Weisen ein "Nichthandeln" (wu-wei); er wirkt durch sein bloßes Dasein auf seine Umwelt, ohne krampfhaft kurzfristigen vergänglichen Zielen nachzujagen. Das Wesen des "wu-wei" wird dahin erläutert, dass das Allerweichste auf Erden (wie das Wasser) das Allerhärteste auf die Dauer überwältigt, das Widerstandslose (der Raumäther) selbst in die festen Körper eindringt. (S191)

Gleich Konfuzius ist auch für ihn das Altertum das allgemeingültige Vorbild für alle staatliche und gesellschaftliche Ordnung. Die Menschen der Vorzeit waren aber deshalb den heutigen überlegen, weil sie das Tao hochhielten und in Harmonie mit dem Urgrunde allen Seins lebten. In der Wiederherstellung des ihm in romantischer Verklärung erscheinenden naturnahen Zustandes der Altvorderen sieht er das Heil für die Zukunft der Menschheit. Alle politischen und sozialen Übel der Gegenwart haben für ihn ihre Wurzel darin, dass die Menschen sich von der Unschuld kindlicher Einfalt und natürlicher Gesittung entfernten.

Durch Aufklärung und künstlich geschaffene Vorschriften erstreben sie eine Ordnung, die allein eine selbstverständliche Auswirkung des Tao zu schaffen vermöchte. "Je mehr es Dinge in der Welt gibt, die man nicht tun darf, desto mehr verarmt das Volk. Je mehr die Leute scharfe Geräte haben, desto mehr kommt Haus und Staat ins Verderben. Je mehr die Leute Kunst und Schlauheit pflegen, desto mehr erheben sich böse Zeichen. Je mehr Gesetze und Befehle prangen, desto mehr gibt es Diebe und Räuber."

"Dass die Leute hungern, ist, weil ihre Oberen zuviel Steuern fressen, dass die Leute schwer zu leiten sind, ist, weil ihre Oberen zuviel machen." (S192)  

 

Über Lieh-Tse: 

...so zeigt er sich andererseits wieder als Agnostiker. Er bekennt, dass sich die Unendlichkeit von Raum und Zeit nicht vorstellen und dass sich über den Wert von Tod und Leben kein gegründetes Urteil fällen lässt. "Wer hier stirbt: wer weiß, ob er nicht dort geboren wird? Wie kann ich wissen, ob einer, der mit Mühe und not sein Leben sucht, nicht am Ende betrogen ist? Wie kann ich wissen, ob heute mein Tod nicht etwas Besseres ist als früher mein Leben?" "Das Leben versteht den Tod nicht und der Tod versteht das Leben nicht. Die Zukunft versteht die Vergangenheit nicht, und die Vergangenheit versteht die Zukunft nicht. Warum sollte ich mir Gedanken machen, ob Himmel und Erde untergehen oder nicht untergehen?". In das wahre Verständnis von Notwendigkeit und Freiheit kann selbst der Heilige nicht eindringen.
Bemerkenswert ist die tiefe Einsicht in die Rolle, welche subjektive Faktoren bei unserer Beurteilung der Wirklichkeit spielen. Ein Mann, der die Ruhestätte seiner Ahnen besuchen will, seufzt tief, als er bei ihnen zu weilen glaubt, obwohl er sich an einem ganz anderen Orte befindet. Fühlt ein Mensch anders als die Welt, so hält man ihn für verrückt, fühlt alle Welt aber so wie ein Verrückter, dann gilt der Normale als verrückt. "Was traurig ist und freudig, Ton, Farbe, Geruch, Geschmack, Recht und Unrecht: wer kann das unbedingt feststellen?" (S194)

Der Begriff der Relativität wird auch auf Wachsein und Traum ausgedehnt. Was man im Wachen tut, hält man im Traum für nichtig, was man im Traum sieht, im Wachen für unwirklich. Und ebenso ist es mit dem, was man im Zustande der geistigen Entrücktheit oder der Verrücktheit wahrnimmt. Aller Wechsel an Einzelgestaltungen, mag er schnell oder langsam vor sich gehen, alles, was entsteht und vergeht, ist deshalb nur ein Schein im Vergleich zu dem Ewigen. Lieh-tse selbst berichtet, dem Text zufolge, von sich, dass er durch neunjährige Übung in der Versenkung in das Absolute so weit gekommen sei, dass für ihn der Unterschied von Ich und Nicht-Ich zu Ende war. "Danach hörten auch die Unterschiede der fünf Sinne auf, alle wurden sie einander gleich. Da verdichteten sich die Gedanken, der Leib ward frei, Fleisch und Bein lösten sich auf, ich hatte keine Empfindung mehr davon, worauf der Leib sich stützte, wohin der Fuß trat: Ich folgte dem Wind nach Osten und Westen wie ein Baumblatt oder trockene Spreu, und wirklich weiß ich nicht, ob der Wind mich trieb oder ich den Wind." Dieser Zustand äußerster Konzentration des Geistes wird mit dem eines Betrunkenen verglichen, der nicht merkt, wenn er im Wagen fährt oder von ihm herabfällt, und der sich auch nicht verletzt. "Wenn nun dieser Mann im Wein eine solche völlige Abgeschlossenheit erreicht, wie erst muss es sein, wenn man im Geiste Abgeschlossenheit erlangt! Der Berufene ist geboren im Geist, darum können ihm die Außendinge nicht schaden." (S195)

"Wenn alle Menschen nach dem Tod wieder in das eingehen , woraus sie entstanden sind, das Geistige in den Himmel, das Leibliche in die Erde, dann ist jeder ein 'Heimkehrer' zu dem, was er früher war; Im Sterben geht das Wesen zur Ruhe und kehrt zu seinem Anfang zurück. Der Tod ist der Normalzustand , die Rückkehr in den Urgrund allen Seins, in das Tao und deshalb kein Übel. Das Wort "Wahrlich groß ist der Tod; die Edlen bringt er zur Ruhe, die Gemeinen zur Unterwerfung" zeigt in seiner seltenen Schönheit, dass für die Philosophen der Gedanke einer Vergeltung ganz außerhalb ihres Gesichtskreises liegt.

Über Chuang-Tse: 

Der Sinn (Tao) ist Grenzbegriff der dinglichen Welt. Reden und Schweigen reicht nicht aus, ihn zu erfassen. Jenseits vom Reden, jenseits vom Schweigen (liegt sein Erleben), DENN ALLES DENKEN HAT GRENZEN." Zum Problem des Todes: "Wenn er (der Schöpfer) mich nun auflöst und meinen linken Arm verwandelt in einen Hahn, so werde ich zur Nacht die Stunden rufen; wenn er mich auflöst und verwandelt meinen rechten Arm in einen Armbrust, so werde ich Eulen zum Braten herunterschießen.. WER ES VERSTEHT; MIT DER IHM ANGEMESSENEN ZEIT ZUFRIEDEN ZU SEIN UND SICH ZU FÜGEN IN DEN LAUF DER DINGE, DEM VERMAG FREUDE UND LEID NICHTS ANZUHABEN." (S197) Gespräch Chuang-tses mit dem Totenschädel, der den Tod als die höchste Seligkeit preist: "...Wir lassen uns treiben, und unser Lenz und Herbst sind die Bewegungen von Himmel und Erde."

 

Über Yang Chu:

Der wahre Weise wird daher ohne die Illusion eines Sittengesetzes und einer Pflicht gegen Staat und Gesellschaft dem kurzen, leidvollen Dasein so viel Genuss abzugewinnen suchen als möglich ist, ohne sich um ein Jenseits zu sorgen. Denn das einzige, was wir vom Tode wissen, ist, dass er Gute und Böse gleicherweise trifft und dass von allen Menschen nur Knochen übrigbleiben, die niemand mehr unterscheiden kann. (S 202)

 

 

Helmuth von Glasenapp in: Die fünf Weltreligionen (Angebot: Buch; die Seitenangaben beziehen sich auf ISBN 3424013331)

 

 

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