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Konrad Lorenz in Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit

Denkgewohnheiten werden genauso leicht zu „lieben“ Gewohnheiten wie irgendwelche anderen. Besonders aber tun sie das, wenn man sie nicht selbst geschaffen, sondern von einem großen Lehrer übernommen hat. Wenn dieser Entdecker eines neuen Erklärungsprinzips gewesen war und daher viele Schüler hatte, so gesellt sich zu dieser Anfänglichkeit noch die Massenwirkung einer von vielen Menschen geteilten Meinung.

Das große Genie, das ein neues Erklärungsprinzip entdeckt hat, neigt erfahrungsgemäß dazu, dessen Geltungsbereich zu überschätzen... Wenn dann noch hinzukommt, dass die Theorie allzu plastisch ist und wenig zu Falsifikation anreizt, dann kann dies im Verein mit der Verehrung für den Meister dazu führen, dass die Schüler zu Jüngern werden und die Schule zu einer Religion und einem Kult, wie dies so mancherorts mit der Lehre Sigmund Freuds passiert ist.

...Die Doktrin wird nun mit derselben Zähigkeit und derselben Affektbetontheit verteidigt, die am Platz wäre, wenn es gälte, die wohlerprobten Weisheiten, das durch Selektion geklärte Wissen einer alten Kultur, vor der Vernichtung zu bewahren. Wer mit der Meinung nicht konform geht, wird als Ketzer gebrandmarkt, verleumdet und nach Möglichkeit diskreditiert. Die höchst spezielle Reaktion des „Mobbing“, des sozialen Hasses, wird auf ihn entladen.

Eine solche, zur allumfassenden Religion gewordene Doktrin gewährt ihren Anhängern die subjektive Befriedigung einer endgültigen Erkenntnis von Offenbarungscharakter. Alle Tatsachen, die ihr widersprechen, werden geleugnet, ignoriert oder aber, was am häufigsten vorkommt, im Sinne Sigmund Freuds verdrängt, d.h. unter die Schwelle des Bewusstseins verbannt. Der Verdrängende setzt jedem Versuch, das Verdrängt wieder bewusst zu machen, einen erbitterten, aufs äußerste affektbesetzten Widerstand entgegen, der um so größer ist, je größer die Änderung wäre, die dies in seinen Anschauungen erheischen würde, vor allem jenen, die er über sich selbst gebildet hat.

..Wirklich satanisch aber wirkt sich die Indoktrinierung erst dann aus, wenn sie ganz große Menschenmengen, ganze Kontinente, ja vielleicht sogar die ganze Menschheit in einem einzigen, bösen Irrglauben vereinigt. Eben diese Gefahr aber droht uns jetzt.

Die orthodoxen Anhänger der Lehre behaupten klipp und klar, dass der Mensch als ein unbeschriebenes Blatt geboren werde und dass alles, was er denkt, fühlt, weiß und glaubt, das Resultat seiner „Konditionierung“ sei...fand diese Meinung allgemeinen Anklang. Selbst religiöse Menschen konnten zu ihr bekehrt werden, denn wenn das Kind als „tabula rasa“ geboren wird, kommt jedem Gläubigen die Pflicht zu, dafür zu sorgen, dass es – und wenn möglich alle anderen Kinder auch – in seiner eigenen, einzig wahren Glaubenslehre erzogen werde...Es ist eine unbezweifelbare ethische Wahrheit, dass alle Menschen das Recht auf gleiche Entwicklungsmöglichkeiten besitzen. Allzuleicht aber lässt sich diese Wahrheit in die Unwahrheit verdrehen, dass alle Menschen potentiell gleichwertig seien. Die behavioristische Doktrin geht noch einen Schritt weiter, indem sie behauptet, alle Menschen würden einander gleich werden, wenn sie sich unter gleichen äußeren Bedingungen entwickeln könnten, und zwar würden sie zu ganz idealen Menschen werden, wenn nur diese Bedingungen ideal wären. Daher können oder, besser gesagt: dürfen die Menschen keinerlei ererbte Eigenschaften besitzen, vor allem aber keine solchen, die ihr soziales Verhalten und ihre sozialen Bedürfnisse bestimmen. Die Machthabenden Amerikas, Chinas und der Sowjetunion sind heute in dem einen Punkte durchaus gleicher Meinung, dass unbegrenzte Konditionierbarkeit des Menschen in höchstem Grade wünschenswert sei. Ihr Glaube an die pseudodemokratische Doktrin ist – wie Wylie behauptet – von dem Wunsche getragen, dass sie wahr sei, denn diese Manipulanten sind keineswegs etwa satanisch kluge Übermenschen, sondern selbst allzu menschliche Opfer der eigenen unmenschlichen Doktrin. Dieser aber ist alles spezifisch Menschliche unwillkommen, alle in dieser Abhandlung besprochenen Erscheinungen, die zum Verlust des Menschentums beitragen, sind im Interesse besserer Manipulierbarkeit der Massen außerordentlich erwünscht. „Fluch der Individualität“ ist die Parole. Dem kapitalistischen Großproduzenten wie dem sowjetischen Funktionär muss gleicherweise daran gelegen sein, die Menschen zu möglichst uniformen, ideal widerstandslosen Untertanen zu konditionieren, gar nicht viel anders als es Aldous Huxley in seinem so schauerlichen Zukunftsroman ‚Brave New World’ dargestellt hat. Der Irrglaube, dass man dem Menschen, richtige „Konditionierung“ vorausgesetzt, schlechterdings alles zumuten, schlechterdings alles aus ihm machen kann, liegt den vielen Todsünden zugrunde, welche die zivilisierte Menschheit gegen die Natur, auch gegen die Natur des Menschen und gegen die Menschlichkeit begeht. Es muss eben übelste Auswirkungen haben, wenn eine weltumfassende Ideologie samt der sich aus ihr ergebenden Politik auf einer Lüge begründet ist.

„Wir dürfen doch keineswegs annehmen, die Menschen seien in unserer Zeit mehr durch ein ausgeklügeltes System von Manipulation an ihrer individuellen Realisierung gehindert als in früherer Zeit.“, sagt Mitscherlich merkwürdigerweise. Ich bin völlig davon überzeugt, dass sie das sind! Noch nie waren so große Menschenmassen auf wenige ethnische Gruppen verteilt, noch nie war Massensuggestion so wirksam, noch nie hatten die Manipulanten eine so gute, auf wissenschaftlichem Experimentieren aufgebaute Werbetechnik, noch nie verfügten sie über so eindringliche „Massenmedien“ wie heute.

Aus der Zusammenfassung der Bedrohungen der Menschheit: Die Zunahme der Indoktrinierbarkeit der Menschheit. Die Vermehrung der Zahl der in einer einzigen Kulturgruppe vereinigten Menschen führt im Verein mit der Vervollkommnung technischer Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu einer Uniformierung der Anschauungen, wie sie zu keinem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte bestanden hat. Dazu kommt, dass die suggestive Wirkung einer fest geglaubten Doktrin mit der Zahl ihrer Anhänger wächst, vielleicht sogar in geometrischer Proportion. Schon heute wird mancherorts ein Individuum, das sich der Wirkung der Massenmedien, z.B. des Fernsehens, bewusst entzieht, als pathologisch betrachtet. Die ent-individualisierten Effekte sind allen jenen willkommen, die große Menschenmassen manipulieren wollen. Meinungsforschung, Werbetechnik und geschickt gesteuerte Mode helfen..zu gleichartiger Macht über die Massen.

 

Konrad Lorenz in: Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit (Angebot: Buch)

 

 

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