Auszüge aus einem MUND-Newsletterbeitrag:

L a u f s p o r t i d e o l o g i e

Oder: Gegen die "natürliche" Betrachtungsweise des Sports

Die ökonomische Nutzung des Sports im Wandel der Geschichte

Es wäre allerdings weit gefehlt, anzunehmen, dass die wundersame Wirkung des Sports auf die Reproduktion der Ware Arbeitskraft erst heute entdeckt worden ist. Tatsächlich lässt sich die bewusste betriebswirtschaftliche Förderung des Sports bis ins 19.Jahrhundert hinein (wenn nicht sogar noch weiter) zurück verfolgen. So fasste Carl Diem, ein Vertreter der deutschen bürgerlichen Sportbewegung schon im Jahr 1923 die positiven Auswirkungen des Sports folgendermaßen zusammen:

"Leibesübungen bedeuten für die Wirtschaft: Verringerung der Krankenkosten, Verringerung der Unfallkosten, Hinausschieben der Invalidität, den Produktionsgewinn der Gesundgebliebenen und Nichtverunglückten, die geistigen Abwehrkräfte gegen politische Verhetzung, die seelischen Abwehrkräfte gegen das Entseelte des taylorisierten Arbeitsvorgangs." (Gertrud Pfister, Stählung der Arbeitnehmerschaft ist Stärkung der Wirtschaft? in: Zwischen Arbeitnehmerinteressen und Unternehmenspolitik
(Hrsg.: Gertrud Pfister), Berlin 1999)

Was sich indes sehr wohl dem Wandel der Zeit unterworfen hat, sind die
Formen, die Motive und die Akteure der Sportförderung.

Zumeist wird die gesundheitspräventive Wirkung, die von sportlicher
Aktivität ausgeht, als Hauptmotiv der betrieblichen Sportförderung
dargestellt, tatsächlich spielen neben diesem humanistisch-fürsorglichen
Aspekt noch ganz andere Beweggründe eine Rolle. Im Deutschland der 20er Jahre sah sich der Kapitalismus mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Durch die Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft sahen sich die
Unternehmer zu umfassenden Rationalisierungsmaßnahmen in der Produktion und der Betriebsorganisation "gezwungen". Diese Bestrebungen ließen sich jedoch angesichts der sich zunehmend radikalisierenden Arbeiterschaft nicht so ohne weiteres um- und durchsetzen ohne die wirtschaftliche Stabilität, den Klassenfrieden und damit die Vorherrschaft der kapitalistischen
Produktionsweise zu gefährden. Zur Bewältigung dieser Krisensituation setzte die Bourgeoisie neben Angriffen auf die Arbeiter.innenklasse auf politischer und ökonomischer Ebene schließlich auf das altbewährtes Mittel der "Ideologiekeule", deren Schlagkraft durch die Institutionalisierung des Sports auf betrieblicher Ebene wesentlich verstärkt werden sollte. Mit der Propaganda der "Werksgemeinschaft" sollten die Klassen-und Interessensunterschiede zwischen Proletariat und Bourgeoisie zu Gunsten des "Wohls des Unternehmens" verdeckt werden. Die Organisation des Betriebssports hatte dabei folgende Funktionen:

* Allgemeine Sozialdisziplinierung der Belegschaften durch den streng
reglementierten, mannschafts- und gemeinschaftsorientierten Sport (von der Arbeitgeberseite auch als Ausgleich für die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht angesehen)

* Bindung der Arbeiter an die Unternehmen zur Bildung von motivierten
Stamm(!)belegschaften

* Erhöhung der physischen Arbeitskraft und psychischen Leistungsbereitschaft und Verminderung der Unfallhäufigkeit am Arbeitsplatz

* Fernhalten der Arbeiterschaft von der Politik, d.h. von KPD, SPD, den
Gewerkschaften und der expandierenden Arbeitersportbewegung (Andreas Luh, Betriebssport in Deutschland. In: Zwischen Arbeitnehmerinteressen und Unternehmenspolitik (Hrsg.: Gertrud Pfister), Berlin 1999)

Betriebssport - eine reaktionäre Angelegenheit

Die Arbeitersportbewegung, die gegenüber der Betriebssport einen viel
größeren Stellenwert aufzuweisen hatte, stand den "gelben
Betriebssportvereinen" ausgesprochen feindlich gegenüber. Ein Funktionär brachte die Kritik der revolutionär orientierten Arbeitersportler auf den Punkt:
"Es dürfte wohl klar sein, warum wir Arbeiter den Firmensport bekämpfen
müssen. Nicht aus Konkurrenzneid, sondern aus politischen und
wirtschaftlichen, also aus Gründen des Klassenkampfes." Die rote
Sportinternationale schlug folgerichtig auch vor, "im Betrieb alle Kräfte
der Arbeiter zu mobilisieren, um mit ihrer Hilfe die Gründung von
Werksportvereinen unmöglich zu machen"(Pfister).

Auch die sozialdemokratischen Arbeitersportvereine konnten sich mit dem
Betriebssport, hinter dem die Ideologie der Werksgemeinschaft stand, nicht anfreunden, da er darauf abziele, "das Klassenwollen der Proletarier
abzufangen, mattzusetzen". Der Reichsverband der deutschen
Firmensportvereine machte aus seinen eigentlichen Motiven, die mittels des Betriebssports verwirklicht werden sollten, auch gar keinen Hehl.
Charakterbildung wurde neben der Gesundheitsförderung zum obersten Ziel erklärt. Sport sollte laut der Richtlinien des Reichsverbandes ein
"Gegengewicht gegen die entseelte Arbeitsmechanik" sein, die "entnervenden Unterhaltungsstätten" bekämpfen, "parteipolitische Beeinflussung" verhindern und insgesamt "die deutsche Wirtschaft durch Stärkung und Erhaltung ihres wertvollsten Gutes, der deutschen Arbeitnehmerschaft" unterstützen
(Pfister).

Das Dilemma der Unternehmer liegt darin, dass sie durch den tendenziellen
Fall der Profitrate gezwungen sind, die dadurch entstehenden Verluste durch die Erhöhung des relativen Mehrwerts auszugleichen, respektive die Ware Arbeitskraft noch mehr auszupressen, um ihre Profite abzusichern. Da Maschinen bekanntlich keine "Werte" produzieren, sondern als fixes Kapital eine notwendige Investition darstellen, um das
gesellschaftlich-durchschnittliche Produktivitätsniveau halten zu können,
obliegt es den Arbeitskräften, die für die Unternehmer notwendigen Mehrwerte zu schaffen. Und das "Mehr-" wird eben immer mehr!

Um das Ziel, die Arbeiter zu noch höherer Produktivität anzutreiben, zu
erreichen, bieten die Unternehmer und Manager ungeahnte Potentiale an
Kreativität auf. Selbstverantwortung und Selbstmanagement lauten die Gebote der Stunde, die Arbeiter sollen ein bisschen "unternehmerischer" denken, heißt es. Zu diesem Zweck ist man auch auf den Gedanken gekommen, den Arbeitern "Nachhilfe" in effektiver Freizeitgestaltung zu geben: in der Form des Betriebssports. "Dabei wird nicht das Ziel verfolgt, die Mitarbeiter auch während der Freizeit "im Griff' zu haben, sondern hierbei handelt es
sich um eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe", meint die
Sportwissenschaftlerin Michaela Friesacher (Michaela Friesacher,
Psychosoziale und wirtschaftliche Aspekte des Betriebssports, Diplomarbeit, Wien 1994). Im zweiten Punkt ist Friesacher durchaus recht zu geben, tatsächlich ist die Sicherung der Reproduktionskraft der (Mit-)Arbeiter als eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe im Rahmen des Kapitalismus anzusehen. Im ersten Punkt outet sie sich jedoch als billige Ideologin des Kapitalismus..

Vorreiter in der betriebswirtschaftlichen Nutzung von Sport ist
bezeichnenderweise die USA. In der USA wird Fitness als außerfachliches Qualifikationsmerkmal gesehen, so wird oft bei Vorstellungsgesprächen die Einstellung zur Gesundheit und Fitness festgehalten. Immer mehr
amerikanische Unternehmen honorieren das Gesundheitsbewußtsein ihrer Mitarbeiter durch Prämien und Lohnzulagen oder kassieren von Übergewichtigen und Rauchern.(Naisbitt/Aburdene, Megatrends des Arbeitsplatzes, München 1989) "Untermalt" werden diese Strategien zur Förderung des Sportbewusstseins durch das "Wellness-Konzept", die
Corporate-Fitness-Bewegung und durch die Gesundheitsprogramme der
American-Health-Association (AHA). Dass das Konzept aufgegangen ist,
bestätigt die Mortalitätsstatistik "im Großen" und Untersuchungen über die
Wirtschaftlichkeitseffekte betrieblicher "Recreation-Programmes" "im
Kleinen".

Warum der Laufboom nicht vom Himmel gefallen ist...

Der Laufsport boomt. Zig-Tausende Menschen quälen sich freiwillig über 42 km
lange Asphaltstrassen in stinkenden Großstädten - und zahlen dafür noch
"teures Geld"! In den frühen Morgen - und späten Abendstunden sind die Parks und Grünflächen überfüllt - wohlgemerkt nicht mit Spaziergängern und ihren Hunderl, sondern mit Läufern. Der grassierende Laufboom hat dazu geführt, dass 1,7 Mio. Österreicher zumindest alle paar Wochen die Laufschuhe schnüren und 860000 Menschen (das sind 13 Prozent der Bevölkerung) sich zumindest ein Mal wöchentlich laufend betätigen, also zur Kategorie der regelmäßigen Läufer zuzurechnen sind. Die Zunahme der regelmäßigen Laufsportler - von 4% im Jahr 1993 auf die genannten 13% im Jahr 2000, erweist sich vor dem Hintergrund eines generellen Rückgangs der sportlich aktiven Menschen als umso bemerkenswerter. Um die (mehr oder weniger) plötzliche Popularität des Laufens verstehen zu können bedarf es mehr, als bloß auf die tollen Vermarktungsstrategien der Laufgurus Strunz&Co.
hinzuweisen, die den Leuten versprechen, das Paradies auf Erden zu finden - wenn sie sich nur die Laufschuhe binden. Laufen macht aus einer Ente einen Jaguar, Laufen ist die einzige Diät, die ewig hält, Laufen weckt
Körper-Intelligenz,...kräftigt Herz und Muskeln,...entstresst,...macht
Lust,...macht glücklich,...beflügelt die Seele.
Die schnittigen Predigten von Leuten wie Dr.Med.Strunz dürfen jedoch schon
angesichts ihres sprachlich-ästhetischen Werts nicht unbeachtet bleiben.
Strunz versteht es wie kein anderer, die leidlichen Probleme der Menschen zu erfassen, deren Ernsthaftigkeit zu unterstreichen, um schließlich eine einfache Antwort zur Lösung derselben zu präsentieren. Zur Veranschaulichung ein paar Kostproben:

Problembereich Übergewicht: Die Weltgesundheitsorganisation warnt: Eine chronische Krankheit breitet sich epidemieartig über den ganzen Globus aus, wuchert über Bäuche, Schenkel und Hüften: Fettsucht.(...) Die Pfunde im Überfluss raffen jedes Jahr 300000 Amerikaner dahin, kosten deutsche Krankenkassen 30 Milliarden Mark.(...)Pro Pfund Übergewicht sinkt das Jahreseinkommen amerikanischer Führungskräfte um 1000 Dollar. Dynamisch und schlank hat ein Unternehmer zu sein, so eine US-Studie." (U.Strunz, Forever young, München 1999)

Die Lösung: Aktivität statt Wunderpille. Gegen die Invasion der Pfunde müsse man schon aktiv werden, meint Strunz - nicht ohne auf die "Vorbildwirkung" von Außenminister Fischer hinzuweisen, der seinen 32 Kilo Übergewicht schlicht und einfach davonlief. ("Wie sie das machen können, lesen sie ab Seite 52.")

Auch wenn es zunächst nicht so scheint: Hinter Strunz steckt mehr als seine Gesundheitspredigten und sein grenzdebiles Grinsen vermuten lässt. In Wirklichkeit verkörpert er den Inbegriff der bürgerlichen
individualistischen Ideologie. Er profiliert sich als stumpfsinniger
Handlanger der Bourgeoisie, indem er alle Probleme, die durch die
Widersprüche des Kapitalismus bedingt sind, den Individuen in die
(Lauf-)Schuhe schiebt. Ob Lohnsklave oder Großbourgeois, jeder hat für sein eigenes Glück zu sorgen und ist für sein Wohlergehen selbst verantwortlich.

Der Laufboom ist weder dadurch entstanden, dass irgend jemand zufällig auf
die positiven Wirkungen des Laufsports gestoßen ist und daran die Idee
geknüpft hat, damit alle Menschen zu beglücken; noch hat sich das Laufen gleichsam von selbst und automatisch durchgesetzt. Vielmehr waren es die sozio-ökonomischen Bedingungen - Stichwort: "Zivilisationskrankheiten" -
welche das Bewusstsein geweckt haben, dass etwas getan werden muss, damit der kapitalistischen Produktionsweise nicht der Saft ausgeht. Denn:
Irgendwann stoßen auch die besten Führungskräfte mit ihren Kommunikations- und Organisationsqualitäten an die Grenzen des "Machbaren"; und spätestens dann macht sich die Einsicht breit, dass selbst einfache Beschäftigte ein Mindestmass an Lebensqualität brauchen (und nicht nur fiktive Anerkennung), um den heiß begehrten Mehrwert schaffen zu können.

Am Anfang (des Laufbooms) standen infolgedessen weder die Wünsche der Sportartikelhersteller, noch die Ideen der Laufgurus - auch wenn Zweiteres gerne in diversen Zeitschriften und Zeitungen dargestellt wird: Die Popularisierung des Laufsports darf nicht als linearer Prozess angesehen
werden, bei dem ein konkreter Ausgangspunkt festgemacht werden kann. Eine zündende Idee ist immer schon mit den materiellen Gegebenheiten vermittelt, indem sie sich als eine Antwort auf die ökonomischen Notwendigkeiten und gesellschaftlichen Bedürfnisse erweist. Bei dieser Idee handelt es sich
wohlgemerkt nicht um ein bloßes Abbild der materiellen Gegebenheiten - in diesem Falle gäbe es nur eine einzige Antwort. Die Idee muss weiters
natürlich im Zusammenhang mit ihrem Produzenten, der bestimmte Interessen verfolgt, betrachtet werden, wobei der Ursprung dieser Interessen wiederum nicht im Subjekt allein verortet werden kann.

Laufen im Kontext des Betriebssports

Welche Rolle spielt das Laufen bei den Versuchen der Unternehmer, ihre
Mitarbeiter zu Höchstleistungen anzutreiben? Und warum eignet sich gerade der Laufsport so hervorragend dazu, das "selbstbestimmte
Leistungsbewußtsein" anzukurbeln?

In aktuellen Studien wird bestätigt, dass Läufer bei der Arbeit "signifikant
zufriedener" sind und "über eine größere betriebliche Arbeitszufriedenheit" verfügen. Mitarbeiter in Unternehmen, die in ihrer Freizeit Ausdauersport (Langstreckenlauf) durchführen, halten sich für belastbarer und konzentrationsfähiger als Nichtsportler. Läufer sehen ihre berufliche
Leistungsfähigkeit durch den Ausdauersport deutlich gestärkt. Sie zeigen
zudem eine verbesserte Kooperationsfähigkeit und Kollegialität.(Eppinger)

Die "Vorzüge" des Laufens:

* Der Läufer kann seine Laufumgebung frei wählen und seine Laufstrecke
individuell gestalten. Die räumliche Unabhängigkeit macht von
Veranstaltern - ob kommerziell oder gemeinnützig - und deren Vorgaben
unabhängig: Spontane Entschlüsse sind jederzeit möglich. Was dabei
suggeriert wird: Man braucht keine freiheitsbeschränkenden Institutionen.

* Die zeitliche Unabhängigkeit für Beginn und Ende des Sporttreibens ist
eine ungeheure Motivation "dran" zu bleiben. Die Zeitsouveränität wird zum Hauptfaktor für die Entscheidung. An dieser Stelle drängt sich der Vergleich mit der sogenannten just-in-time-production auf. Im Gegensatz zur just-in-case-production der fordistischen Großfabriken, die mit den riesigen gefüllten Lagerhallen für alle Fälle gerüstet sind, beruht die
just-in-time-production auf einer präzisen Abfolge von Teilanfertigungen und exakter Zeiteffizienz.

* Die Rücksichtnahme auf andere ist kaum notwendig. "Ich" laufe gegen meinen inneren Schweinehund an. Laufpartner stören nicht, sie sind aber nicht Voraussetzung für meine Selbstbestätigung. D.h. trotz der dominanten individuellen Komponente, die dem Laufsport unanzweifelbar anhängt, wird unter den Läufern kein übertriebener Konkurrenzkampf angestachelt - die "Teamfähigkeit" ist somit nicht bedroht!

* Laufen kann im Prinzip jeder. Unter den Läufern existieren keine sozialen Staffelungen oder Hierarchien. Dadurch wird das Gefühl der
(Chancen-)Gleichheit erzeugt. Die "One-family-Philosophie", die gegenüber der autoritär-hierarchischen Unternehmensführung auf Teamarbeit setzt, fährt auf derselben Schiene: sie täuscht den Arbeitern und insbesondere
Angestellte gleiche Rechte vor, um ihnen zusätzliche Pflichten auferlegen zu können.

* Den Läufern werden keine (Spiel-)Regeln oder Vorgaben gemacht, an die sie sich zu halten haben - eine gute Vorübung für die Arbeit. Denn: Auch im
Betrieb soll sich das Leistungsbewußtsein nicht darin erschöpfen, bloß
zuverlässig Anweisungen auszuführen. Eigener Antrieb und persönlicher Elan ist gefragt

* Der "Massensport" Laufen trägt einen ganz ambivalenten Charakter: Trotz seiner breitensportlichen Wirkung hat er sich seinen individuellen
"besonderen" Charakter des "Managersports" bewahrt. Von Bill Clinton über Großkapitalist Martin Bartenstein bis hin zur Sekretärin von nebenan: Sie alle laufen. Die Studie des Bundesministeriums für Soziale Sicherheit und Generationen liefert zu diesem Thema ein paar interessante Details: "Je größer die Bedeutung der individuellen Leistung im Sport ist, umso höher ist der soziale Status der Ausübenden; Mannschaftssportarten werden häufiger von unteren Sozialschichten ausgeübt." Und weiter: "Während Mitglieder oberer Sozialschichten eher Sportarten betreiben, die einen geringen oder gar
keinen Körperkontakt erforderlich machen, ist die Schichtzugehörigkeit der Sporttreibenden umso niedriger, je stärker ein Sport Körperkontakt
erfordert."( Sport und Gesundheit - eine sozio-ökonomische Analyse) Diesen beiden Aspekten zur Folge ist der Laufsport tendenziell den oberen
Sozialschichten zuzuordnen.

Zu guter Letzt die eigentliche Fragestellung...

Ideologie hin oder her, könnte man sagen - Sport, konkret das Laufen, hat
nachweisbar positive Auswirkungen auf das körperliche und geistige
Wohlbefinden der Menschen. Den Leuten geht es schlecht, sie laufen, und es geht ihnen besser. Eine einfache kausale Wirkung, gegen die doch wohl sachlich betrachtet niemand sein kann, so scheint es zumindest. Könnte man daraus nun nicht schlussfolgern, dass im Falle des Laufens exzessives Marketing, (wie es etwa von Struntz betrieben wird), der Menschheit ausnahmsweise gute Dienste leistet. Im Gegensatz zur Bewerbung des sogenannten "functional food", wo den Leuten krude Versprechungen aufgetischt werden - etwa dass der lactobazillus casei im Joghurt für gutes Aussehen, für Ausgeglichenheit, für die Stärkung der Abwehrkräfte und noch vieles mehr sorgt, fördert Laufen ja tatsächlich das Wohlbefinden.

Klarerweise würden wir uns eine von der Kommerzialisierung der
kapitalistischen Freizeitindustrie unabhängige Massenkultur wünschen -
vorzugsweise in Verbindung mit einer revolutionären Arbeiterbewegung.
Angesichts der aktuellen Schwäche einer solchen Bewegung ist heute eine partielle Beteiligung an verschiedenen Formen der kapitalistischen
Massenkultur tendenziell notwendig, um sich in dieser Gesellschaft nicht
sozial zu isolieren und psychisch zugrunde zu gehen.


Auch wenn meines Erachtens nach im Falle des aktuellen Laufbooms der
Sportartikelindustrie die Rolle des treibenden Motors zukommt, darf sie
nicht als der eigentliche Drahtzieher angesehen werden - die Gründe für
dessen Entstehen sind viel komplexer. Warum?

Wie zuvor angesprochen hat man mit dem Sport einst klare politische
Intentionen verfolgt. Heute können diese Intentionen nicht mehr so einfach
nachvollzogen werden, was viele zu der Behauptung veranlasst hat, das
Politische sei am Ende und endgültig von der Dominanz der Ökonomie abgelöst worden. Damit sei auch das Private, das einst politisch werden sollte, nun ökonomisch geworden. Diese Theorie ist mit Vorsicht zu betrachten. Denn was wird mit der Reduktion auf das Ökonomische suggeriert? Das Private, respektive die sportliche Freizeitbetätigung richtet sich demzufolge nach genuin ökonomischen "Sachzwängen" aus, die eben "sachlich" und nicht ideologisch sind. Ideologie wäre damit mehr oder weniger obsolet geworden, da der Markt ohnehin alles regelt.
Diese Sichtweise geht von einer, grundfalschen Prämisse aus: von der
Prämisse, die Geschichte habe in der jetzigen Stufe des Kapitalismus ihr
Ende erreicht. D.h. die kapitalistische Produktionsweise bildet ein Axiom,
das nicht zu übersteigen ist. Wenn man diese Annahme voraussetzt erscheint der Großteil der Menschen als Lohnarbeiter auf der einen und als Konsumenten von - in kapitalistischer Produktionsweise erzeugter - Waren auf der anderen Seite. Jeder und jede ist gleichermaßen Objekt und Subjekt der kapitalistischen Ökonomie, und kann sich folglich nicht heraus bewegen.
Folgt man dieser Logik, dient Ideologie dann nur noch zur Verbesserung der Kommunikation und Interaktion zwischen den Menschen, da ja ohnehin keine Ausbeutung im traditionellen Sinn mehr besteht, die verschleiert werden muss, da sich jeder irgendwie selbst ausbeutet.
Die tätig-aktive widerständige Seite des Menschen, die im Kapitalismus der "ideologischen Befriedung" "bedarf", wird in dieser Theorie vollkommen eliminiert. Wenn es diese Seite nicht gebe, hätte der Kapitalismus tatsächlich kein Problem. Der Haken an der Sache: Wenn es diese Seite nicht gebe, gebe es auch den Kapitalismus nicht. Denn: Wie hätte er den Feudalismus ablösen können? Langer Rede kurzer Sinn: Die kapitalistische Ökonomie könnte ohne massive ideologische Propaganda nicht überleben. Nur haben die verschiedenen ideologischen Botschaften mittlerweile derartig subtile Formen angenommen, dass sie auf den ersten Blick nicht eindeutig erkennbar sind. Der Laufboom kann deshalb mit ökonomischen Argumenten nicht hinreichend erklärt werden.

 

 


wenn sie nach dem lesen dieser seite das (natürliche) bedürfnis empfinden, uns etwas gutes tun zu wollen oder wenn sie einfach gerne menschen eine freude bereiten, können sie für einige ihrer konsumtätigkeiten die links zu diversen konsummöglichkeiten unter www.diedenker.org/bereichern benutzen. damit können sie uns (nicht auf Ihre Kosten versteht sich, denn wozu gibt es denn reiche anbieter, die ihre einnahmen mit uns teilen wollen?) und gleichzeitig sich selbst materiell bereichern.