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Nicht vom Brot allein…

Der zeitgenössische und beliebte Philosoph Peter Sloterdijk denkt im kürzlich erschienenen Büchlein „Streß und Freiheit“ über die Frage nach, wie individuelle Freiheit und Gemeinwohl heute miteinander vereinbar sind. Dabei wirft er unter anderem einen historischen Blick auf den Freiheitsdrang. Eine interessante Übung in Zeiten, wo man vor lauter Arbeit und auch einfachen Möglichkeiten zur Unterhaltung, Zerstreuung, kaum mehr zum Nachdenken, zum Besinnen auf den individuellen und sozialen Nutzen – oder auch Schaden – der eigenen Anstrengungen kommt, meinen wir.

„Ein Faulpelz ist ein Mensch, der sich nicht die Arbeit macht, sein Nichtstun zu begründen.“ (Gabriel Laub, Journalist, Satiriker und Aphoristiker polnischer Herkunft)

„Der Mensch ist umso reicher, je mehr Dinge er liegenlassen kann.“ (Henry David Thoreau)

Darüber, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, kann man auch online interessante Reflexionen wie jene von Johannes Torelló, einem 1920 in Barcelona geborenen und nunmehr in Wien lebenden Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, finden. Hier ein paar Auszüge daraus:

„Im Zeitalter des „homo faber“ ist es gang und gäbe, die Arbeitsamkeit zu preisen. Sind nicht Denker, Dichter und Mönche deshalb so in Mißkredit gekommen? Seit unserer Kindheit verfolgt uns das Gespenst La Fontaines und seiner furchtbaren Ameise. „Man muß immer arbeiten!“, haben uns Eltern und Erzieher pausenlos eingeschärft. Und tatsächlich hat die Arbeit die Welt umgestaltet und verbessert, zumindest was Bequemlichkeiten aller Art anbelangt. […] Lernen um zu lernen ist völlig überholt, die „Wahrheit als Leidenschaft“ (Origenes) ist uns unbekannt geworden. „In unserer Zeit“, sagte Simone Weil, jene große Frau, die die mühevollsten Arbeiten übernahm, um sie von innen erleben zu können, „kann ein Mensch zur sogenannten hochgebildeten Gesellschaft gehören, ohne die kleinste Ahnung vom Schicksal des Menschen zu haben.“ […] Die Mehrzahl der Menschen lernt nur, um arbeiten zu können. Man arbeitet um zu essen, man ißt um zu arbeiten: Ein Teufelskreis, ein Roboterparadies. […] Wie andere Skeptiker hat auch Voltaire die Arbeit gelobt und empfohlen, damit die Menschen nichts zu denken hätten: „Arbeiten wir ohne zu denken; dies ist die einzige Möglichkeit, das Leben erträglich zu machen.“ Kant, der die Enge der reinen Vernunft schmerzlich erfuhr, empfahl die Anwendung der „praktischen“ Vernunft. Dieser demütige und fruchtbare Optimismus sollte uns von der „Entfremdung“ des Denkens befreien. […] Drogensüchtige gelten als krank, Arbeitssüchtige werden geehrt. […] Viele dieser Menschen glauben, nur in der Leistung leben zu können. Es ist ihnen unvorstellbar, auch ohne Erfolg angenommen zu werden. Sie können sich nicht vorstellen, daß man sie lieben könnte für das, was sie sind. […] Die innere Spannung dieser verkrampften Lebensart – der Arbeit ganz „hingeopfert“, den Erfolg anstrebend, von Geldgier beherrscht – drückt sich nicht selten in Gefäßkrämpfen, erhöhtem Blutdruck und Schlaganfällen aus. […] Arbeit allein gibt unserem Leben nicht Sinn und Freude. Auch die großen sozialen und wirtschaftlichen Revolutionen sind Leistungen des Geistes. […] Arbeitsamkeit ist nicht die erste der Tugenden, und es dürfen ihr deshalb nicht der Ehepartner, die Kinder oder gar Gott zum Opfer gebracht werden. Die Arbeitsamkeit ist entweder ein Dienst, oder sie ist bloße Sklaverei. […] Die Freizeit, die durch die Automation immer mehr erweitert wird, sollte dem Geist neue Luft, Freiheit und Entspannung vergönnen, sollte ihm ermöglichen, Neues zu lernen, besser zu denken, sich zu besinnen, das Schöne nicht zu versäumen und sich vertrauensvoll auf das wesentliche Geheimnis des Lebens zu verlassen. […] Um richtig zu verstehen, muß man arbeiten; aber Denken und Arbeit müssen verbunden bleiben, denn eine Menschheit, die ohne zu denken pausenlos arbeitet oder an nichts anderes denkt als an die Arbeit, hat bereits Selbstmord begangen.“ (Johannes Torelló, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, zum Thema Arbeitsamkeit)

Und dass auch sehr arme Menschen „geistiger Nahrung“ bedürfen, zeigen entwicklungsökonomische Studien der jungen und aufstrebenden Ökonomin Esther Duflo. Mit unkonventionellen, lebensnahen Forschungsmethoden zeigt sie unter anderem auf, dass selbst hungrige Menschen gerne auf Essen verzichten, um sich bspw. einen Fernseher leisten zu können. Natürlich, denn wäre es nicht arrogant und herablassend zu denken, dass arme Menschen nicht nach Erfahrungen abseits von blanker Überlebenstriebbefriedigung streben, die das Leben lebenswert machen?

Berichte junger Menschen über den Nutzen von „Gammelmonaten“, z.B. vor Studienbeginn oder zwischen Jobwechseln, kann man übrigens in der jüngsten Ausgabe des Magazins „Neon“ finden.

Siehe hierzu auch:

Schlafen!
Nichtstun!
Auf die innere Stimme hören

Send Stars!

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