Außerordentlich schwierig ist die Frage nach dem Wesen Gottes. Wir wissen nicht, wie Gott ist. Wir wissen nur, wie er nicht ist. Er hat keine Gestalt, nicht einmal eine geistige. Er ist unbegreiflich und unaussprechbar, denn alle unsere Vorstellungen und Worte werden aus der Begegnung mit dieser Welt gewonnen. Wir vermögen nicht in Worte zu kleiden, was außerhalb unserer Welt liegt. Versuchen wir es dennoch, so scheitern wir in lächerlichem Aberglauben, im Eselsstall von Bethlehem oder am Marterpfahl von Golgatha. Zacharias kam ein Satz des Lukrez in den Sinn: ...Wieviel Unglück hat die Religion uns einzureden vermocht! Der Eingeweihte bedarf dieser Krücken nicht. [27]

Ertragt Leid mit Stärke. Darin überragt Ihr Gott. Er steht außerhalb des Erduldens der Übel. Ihr aber steht darüber. [28]

Kennst du das Reisefieber? Der Puls steigt, denn das Leben verrinnt rascher auf Reisen. Es wiegt weniger. Ein Hagelwetter von Eindrücken verwirrt deine Sinne. Nie gekannte Gerüche und Geräusche rauben dir die Übersicht. Ein schäumendes Gebräu von Bildern betäubt dich.... [30]

Wir Menschen sind eine geschwätzige Gesellschaft. Wir verständigen uns fast ausschließlich durch Wort und Schrift. Welch enger Käfig für das, was wir empfinden! Wie reich ist die stumme Sprache der Pflanzen und Tiere....Es gibt eine stumme Verständigung, die ist aufrichtiger als alle gesprochenen Wörter. [35]

Wie wenig braucht der Mensch doch zu seinem Glück. Gibt es Schöneres, als in einem Bett zu schlafen ohne Schmerzen zu sein!...Eigentlich seltsam. Wir fühlen uns am wohlsten, wenn wir uns nicht wahrnehmen. [38]

Glaubt mir, auch die Dummheit ist eine Krankheit. Sie ist die einzige Krankheit, unter welcher nicht der Befallene leidet, sondern seine Umgebung.  [47]

Die Liebe ist eine lustvolle Lockspeise, der Orgasmus ist Gottes Dankeschön für die Mitarbeit an der Erhaltung seiner Arten, ein schweres, schmerzvolles und nicht ungefährliches Unterfangen...

Warum werden wir krank? Warum müssen wir sterben? Du stirbst nicht, weil du krank bist; du stirbst, weil du lebst. Das Leben ist eine Krankheit, die der Schlaf allnächtlich lindert. Das Heilmittel aber ist allein der Tod. [54]

Wir glauben, wir formen unsere Bauten, in Wahrheit jedoch formen die Bauten uns. Mit den Architekturen verhält es sich wie mit den Religionen. Ursprünglich von Menschen geprägt, verwandeln sie alle, die in ihnen leben. Das Geschieht ohne unseren Verstand, denn mehr als durch irgendeine verstandesmäßig erfassbare Lehre werden wir von unserer Umgebung geprägt. Unsere Persönlichkeit – das, was wir wirklich sind – wird während unserer ersten drei Lebensjahre ausgebildet, und dennoch vermögen wir uns später an diese für uns so wichtige Zeit nicht mehr zu erinnern. [59]

Die Frierenden verehren die Wärme des Feuers; die im Dunkeln leben, suchen sein Licht. Andere preisen die veredelnden Kräfte der Flammen...Ein jeder hat recht, aber jeder verehrt nur einen Teil des Ganzen. So verhält es sich auch mit den Religionen. Gott ist das Feuer. Christen, Moslems und Juden suchen seine Nähe. Und jeder glaubt, er allein besäße die ganze Wahrheit an der göttlichen Glut.  [73]

Ihr findet mehr Erkenntnis in den Buchen und Eichen als in den Büchern. Tiere, Bäume und Steine bewahren das Wissen, das kein Gelehrter euch vermitteln kann. (hl. Bernhard)  [81]

Ob die Schlange wohl Freude beim Fressen empfindet? Oder ist sie nur Sklavin ihrer biologischen Notdurft? – Sie ist wie der Frosch nur ein Opfer, ein Opfer ihrer Natur. – Nicht anders empfinde ich die fleischliche Vereinigung. Wie kann ein Mensch durch ein Weib in Versuchung geführt werden, seine Seele zu verlieren? Wie kann er Lust empfinden an ihrem Fleisch, blutig gekratzt, von Flohstichen entstellt, klebrig von Speichel, Schweiß und Scheidensekret? Ich weiß jetzt, wie der Schlange zumute ist, wenn der Hunger sie zwingt, die Kröte zu schlucken. Liegt es an mir, oder ist da etwas mit der Schöpfung verkehrt: Ich würde mich lieber mit einem Pferd als mit einer Frau paaren. [89]

Niemand soll wegen seiner Gedanken bestraft werden. Das wussten schon die Römer. Ich sage dir, es gibt keine größere Tyrannei als die der Kirche. Denn es ist dasselbe, ob man einem Menschen sagt: Du darfst nicht frei sein! Oder: Du darfst nur auf diese und auf keine andere Art frei sein. [98]

Wer die Wahrheit nicht verträgt, ist es nicht wert, geboren zu werden....Ich weiß, du wirst kommen, denn wir Menschen haben niemals wirklich die Wahl zwischen zwei Wegen. In Wahrheit gibt es immer nur eine Möglichkeit, und das ist die, für die du dich entscheidest oder bereits entschieden hast. Denn die wichtigen Dinge unseres Lebens verlaufen ohne erkennbare Anfänge. Nur beim Schach hast du die Zeit, den ersten Zug zu überlegen. Plötzlich findest du dich in der Mitte der Ereignisse. Deine Handlungen aber haben sich längst selbstständig gemacht, so wie dein Atem, den du zwar zurückstauen, aber niemals aufhalten kannst...Tausend Jahre gehst du durch die Träume von tausend Dichtern, und dann plötzlich wirst du geboren, erblicktst das Licht der Welt: Das Halsband der Taube. [103]

Erlaubt mir, dass ich Euer Märchen mit einer Fabel erwidere: Ein junger Bauer fand einen Wolf, der in der Falle beide Beine verloren hatte. Das gibt einen guten Pelz, sagte er sich und lief eilig davon, um Axt und Messer zu holen. Er war noch nicht weit gekommen, da sah er einen Fuchs, der dem Wolf die Reste seiner Beute brachte. Neugierig, wie das wohl weitergehen würde, schlich sich der Bauer nun jeden Tag herbei, und jeden Tag kam der Fuchs und versorgte den Wolf mit frischem Fleisch. Gottes Güte ist allgegenwärtig und unerschöpflich, sprach der Priester, dem der Bauer davon berichtete.

Wenn das so ist, sagte sich der Bauer, so will auch ich mich nicht länger abmühen. Der Herr wird für mich sorgen. Er legte sich auf eine Waldwiese und genoss das Nichtstun. Viele Tage lag er dort, wartete auf Gottes Güte. Schon war er so schwach, dass er sich nicht mehr zu erheben vermochte, da vernahm er eine Stimme: Du hast die falsche Wahl getroffen, Bauer. Nicht der Wolf, der Fuchs war dein Karma.

Wie kann einer Hilfe erbitten, der stark genug ist, für sich und andere zu sorgen? 

 

Wenn sich die Tiere Götter erfänden, so erfänden sie solche, die so wären wie sie selbst, um dann später zu behaupten, sie seien Gottes Ebenbild. (Xenophanes)

Ein jeder macht sich seinen eigenen Gott (Weisheiten des Salomo - Bibel)        [118]

So wie der Mensch in der Landschaft lebt, so lebt sie auch in ihm und macht ihn zu dem, was er ist. Viele Menschen glauben, die Wüste sei etwas Totes, Ödes. Es gibt im Arabischen hundert Namen für die Wüste, aber es gibt nicht einen darunter, der Verlassenheit oder Öde ausdrückt...So tot wie die Wüste äußerlich erscheint, so lebendig und schöpferisch ist die geheimnisvolle Ausstrahlung, die von ihr ausgeht... [121]

Ich fragte einmal einen Knaben mit einer brennenden Kerze: Woher kommt das Licht? Das Kind blies die Flamme aus und erwiderte: Wohin ist das Licht gegangen? [155]

Zu den Tieren gehen heißt, sich heimbegeben. [164]

Ende eines Gleichnisses, im Tal der Blinden: Jeder von ihnen (Blinde) hatte für einen Augenblick den Riesen (Elefant) berührt. Diejenigen, die seinen Bauch berührt hatten, sagten: Der Elefant ist ein massiges Tier mit weicher Haut. Wer seinen Zahn gehalten hatte, beschwor das Gegenteil: Er ist zartgliedrig und steinhart. Wer am Rüssel gestanden hatte, hielt ihn für eine Art Riesenschlange. Andere, die seine Beine betastet hatten, sprachen von Baumstämmen mit rissiger Rinde.

Es erhob sich ein Streit, der nie beigelegt wurde. Das Dorf der Blinden zerfiel in viele Parteien, denn jeder glaubte, nein wusste sich im Recht. Hatte er sich nicht mit seinen eigenen Händen davon überzeugt?

Ihr lacht, Freunde.

Ihr lacht über die Blindheit der Einfältigen?

Was wissen wir von den Dingen, die wir mit unseren beschränkten Sinnen wahrnehmen? Erkennen wir wirklich das Ganze?

 

Dem Sultan erschien im Schlaf eine Schlange, die sein Glied samt Hodensack verschlang. Er ließ den Traum deuten. Der erste deutete den Traum so, dass er alle Angehörigen verlieren würde. Der Sultan verfiel in tiefe Traurigkeit. Der andere deutete den Traum so, dass er sich freuen kann weil er alle seine Angehörigen überleben wird. Der Sultan dankte ihm mit hundert Silbertalern, während sein Vorgänger leer ausging. Und das zu Recht, denn wichtig wie der Inhalt ist die Form. [167]

Alle Geschöpfe neigen von Natur aus zu Faulheit und Völlerei. Erst die Entbehrung verleiht ihnen Kraft. Das ist das Geheimnis der Wüste. Nirgendwo sonst spricht Gott so deutlich zu den Menschen wie hier, denn die Wüste ist die Manifestation der Entbehrung....Alles Göttliche offenbart sich am reinsten im Verzicht. Das ist das Mysterium der Märtyrer und der Fedawis. [168]

Die Kraft des Fastens wird nur überboten von der Macht der Sexualität...Der Körper birgt Botschaften in sich, die der Verstand nicht wahrzunehmen vermag. Höre auf die Stimme deines Leibes! Erfühle dich selbst. Empfinde die Mitteilungen von dir an dich! Leib und Seele sind nicht zweierlei: Die Seele wohnt nicht in deinem Körper, sie ist dein Körper – so wie der Dampf nicht im Wasser wohnt, sondern Wasser ist.

Im Leben der meisten Menschen gibt es eine verhängnisvolle Kluft, die die Seele vom Körper trennt. Diese Trennung ist die wahre Vertreibung aus dem Paradies. Das Paradies steht nur dem offen, dem es gelingt, Körper und Seele wieder miteinander zu vereinigen. Der Schlüssel dazu ist die Sexualität. Der Orgasmus ist die magische Mitte im Leben  aller Kreaturen. Die gesamte Schöpfung strebt dem paradiesischen Urzustand zu. Wie arm wäre sie ohne Blüten, Gefieder...sie alle dienen nur dem einen: der Sexualität. Sexualität, welch erbärmliche Umschreibung für die schöpferischste, göttlichste Kraft der belebten Natur! Je allumfassender etwas ist, um so weniger lässt es sich in Worte fassen. [169]

Über das Zusammenleben und den höheren Gemeinschaftssinn der Bienen. [171[

Es gibt unten am Fluss eine Fliegenart, die benutzt diese Erdkröten als ihre Kinderstube. Sie kriecht den schwerfälligen Unken in die aufgeblähten Nasenlöcher und legt dort ihre Eier ab. Die ausgeschlüpften Maden zerfressen ihrem Wirt bei lebendigem Leibe das Naseninnere. Da alle Lurche von Natur aus äußerst zäh sind, überlebt die Kröte den verheerenden Madenfraß, der sich immer weiter in ihrem Schädel ausbreitet. Erst wenn sie alle Angst, allen Schmerz der Kreatur durchlitten hat, wird sie qualvoll zugrunde gehen....  [173]

Was hältst du für das Wichtigste in der Liebe zwischen Mann und Frau? – Die Sehnsucht. – Nicht die Erfüllung? – Aber nein. Mit der Erfüllung erlischt die Sehnsucht. Nichts verdirbt den Appetit so gründlich wie die Sättigung. Die leidenschaftlichste Liebe ist die unerfüllte.

Es gibt nur verlorene oder unerreichbare Paradiese.

Der Garten Eden als Dauerzustand wäre ein nie endender Orgasmus, die Hölle. Alle Erotik lebt vom freiwilligen Verzicht, vom Hinauszögern und Verbergen. Einer unserer Dichter hat gesagt: Wenn sie doch nur ihre Gesichter bedecken würden, welches Feuer der Leidenschaft könnten ihre Körper erwecken!

Menschen sind wie Musikinstrumente. Ihre Resonanz hängt davon ab, wer sie berührt.

Woran erkennt man, ob man einen Menschen wirklich liebt? Das Maß der Liebe ist, was man bereit ist, dafür aufzugeben.

Gibt es Schöneres, als geliebt zu werden? Ja, zu lieben.

Alle Liebe lebt von der Sehnsucht.

Alle Sehnsucht hat doch nur Sinn, wenn sie die Erfüllung zum Ziel hat.

Der Weg ist wichtiger als das Ziel.

Der Mensch liebt von natur aus Unrast, Taten und Bewegung. Deshalb ist der Kerker eine so schreckliche Strafe. Deshalb sind Lähmung und Alter so schwer zu ertragen.

Gibt es die große Liebe wirklich?

Nichts findet man so selten und nichts verliert man schneller. Mit der großen Liebe ist es wie mit dem Teufel. Alle reden von ihm, aber niemand hat ihn gesehen.  [175]

Die Welt ist ein offenes Buch für alle, die darin zu lesen vermögen. Kinder glauben, Erwachsene denken, Wissende erkennen. Eingeweihte sind Seher. Alle Erkenntnis beruht auf Wahrnehmung. Mohammed hielt Dummheit für eine Sünde. Er hat gelehrt: Wer lernt, betet. Aber wie so häufig, haben die Menschen den Propheten missverstanden. Sie verwechseln Lernen mit Auswendiglernen. Zwiesprache mit Gott hält nur der, der versucht zu erkennen. Wer lernt, eignet sich die Gedanken anderer an. Dazu gehört Fleiß. Begreifen ist mehr. Begreifen ist ein schöpferischer Akt. Dazu benötigst du die seltene Gabe des Sehens...Die Menschen gehen mit offenen Augen blind durchs Leben. Dabei vermögen unsere Augen mehr Erkenntnis aufzunehmen als alle Bücher dieser Welt. Den Zehn Geboten fehlt das Wichtigste: Öffne deine Augen. Nimm die Welt wahr. Nur so begegnest du deinem Schöpfer. Nur so erkennst du dich selbst. Der wichtigste Rat für alle, die nach Erkenntnis streben, lautet: Schau!!! Sehen ist wichtiger als denken. Ein Gelehrter, der sich den Kopf über Kamelknochen zerbricht, wird vor lauter Grübeln blind. Falls ihm irgendwann ein lebendiges Kamel über den Weg läuft, so wird er es vor lauter Detailwissen nicht erkennen. [185]

Bilder der Vergangenheit stiegen in ihm auf, weit zurückliegende Ereignisse, zeitlose Spiegelbilder der Seele, ihrer Seelen.. Noch dem Traum verwoben und doch schon das Diesseits ahnend, genoss er den Zustand der Schwebe, unbewusst wissend, dass die Bilder verschwinden, wenn die Kräfte des Verstandes erwachen. [191]

Die Welt ist ein Narrenhaus. Das Leben ist nicht mehr als ein Traum. Aber bitte, weckt mich nicht auf!

Wenn ein Mädchen nicht tanzen kann, sagt es: „Die Musiker können nicht spielen.“ Es liegt an uns, dass die Welt so ist, wie sie ist.      [199]

Mohammed: Die Tinte des Schülers ist heiliger als das Blut des Märtyrers. Eine Behauptung, für die ein Christ vor ein Ketzergericht käme. Und er hat gelehrt: Alle Weisheit kommt von Allah. Drum erwirb sie, aus welcher Quelle sie auch stammen mag, sogar von den Lippen eines Ungläubigen. [235]

Was haltet ihr für das höchste Gut?

Es gibt für den Menschen keinen wertvolleren Besitz als das Wissen. Es zählt mehr als jeder Schatz. Denn den Schatz musst du hüten, das Wissen aber behütet dich. Es gibt keine wirksamere Waffe als die Schärfe des Geistes.  [256]

Denn wer den Tod nicht fürchtet, ist zu allem fähig. Nichts jagt dem Menschen mehr Angst ein. Es gibt in der belebten Natur keinen stärkeren Trieb als den Willen zu leben. Alle Triebe, vom Fressen bis zur Fortpflanzung, dienen nur dem einen Ziel: Leben zu erhalten. (Der Fedawi, der den Tod sucht, steht außerhalb der Schöpfung. Er wird zum Dschin, zum Dämon einer überirdischen Macht, der kein Sterblicher gewachsen ist. Unüberwindlich aber ist nicht der Fedawi, sondern die Angst vor ihm. Wollte man dieser Gewalt einen Namen geben, so müsste sie Terrorismus heißen, denn der Schrecken ist ihr eigentliches Element.

Es ist die Furcht vor dem Tod, die uns Gott näher bringt.  [263]

Wissen erlangt man durch Erfahrung, das ist der bitterste Weg, oder durch Nachahmung, das ist der oberflächlichste, durch Nachdenken, das ist der Weg, auf dem man sich am leichtesten verirrt. Am erfolgreichsten ist der durch Anschauung, wenn man seine Augen und Ohren zu gebrauchen weiß.  [264]

Der Mensch fürchtet den Schmerz, nicht den Tod. Vergesst die Furcht! Schmerz – ein Nichts im Nichts um nichts. Die Erinnerung an überstandene Schmerzen bereitet uns Vergnügen!

Es gibt Dinge, die sich nicht erzwingen lassen, sie müssen erkauft werden mit viel Zeit, und das ist das Kostbarste, über das wir verfügen.   [265]

In den griechischen Philosophieschulen wurde im Gehen gelehrt. Ich halte das für vernünftig. Ein Mensch der sitzt, ruht. Geistige Beweglichkeit erfordert körperliche Bewegung. Gedankengänge! Das Wort spricht für sich.   [284]

Ich weiß, du glaubst nicht an den Garten der Verheißung, hast nie daran geglaubt. Du findest ihn banal. Doch lass dir sagen: Alles Irdische ist seinem Wesen nach banal. Nimm einen schöne Frau: Äußerlich ein vollendetes Kunstwerk. Im Inneren Blut, Schleim, Gedärm, Verwesung. Selbst das Wort Allahs blieb uns nur erhalten, weil es auf der Haut räudiger Ziegen niedergeschrieben wurde. Kein Licht ohne Schatten. Kein Leben ohne Fäulnis. Keine Existenz ohne Erniedrigung. Mit dem Paradies kann es nicht anders sein. Die Form ist banal, die Idee aber ist gewaltig. [291]

Auf die Frage, ob es nicht Sünde sei, einen künstlichen Paradiesgarten zu erschaffen:

Allah ist es, der die Gärten geschaffen hat, sowohl die, welche des Menschen Hand, als auch die, welche die Natur angelegt hat. (6. Sure, 142) [294]

Wenn die Fischer mit reichem Fang heimkommen, habe ich Mitleid mit den Fischen. Sind die Netze leer, so habe ich Mitleid mit den Männern. So war es schon immer. Was ist richtig? Was ist falsch? [293]

Alle Missverständnisse entspringen der Sprache. Ohne sie gäbe es keine Lüge, keine Beleidigung. Der Prophet Jesus hat gepredigt: Eure Rede sei ja oder nein. Alles, was darüber ist, ist von Übel. Ist nicht selbst Allah stumm? Er erhört uns, vielleicht, aber er spricht nicht zu uns, jedenfalls nicht mit irgendeiner Stimme...Gott hat dem Weib einen himmlischen Leib geschenkt, sein Mundwerk aber stammt vom Teufel. Die Vertreibung aus dem Paradies fand statt, als Eva ihren Mund öffnete, nicht um an dem Apfel zu nagen, sondern an Adams Nerven. Die Zunge einer Frau ist ein himmlisches Organ, so lange sie keine Sätze damit formt.

Die Sprache ist das Gewand der Gedanken. Wissen wird mit Worten weitergegeben. Gefühle aber bedürfen feinerer Mittel: ein Blick, eine Berührung, ein Kuss. Eine geistreiche Gattin ist eine gute Gefährtin bei Tisch, aber ein lausige Geliebte im Bett. Eros und Intellekt schließen einander aus wie Schönheit und Geschwätzigkeit. [294]

Selbst wenn sie Zweifel hätte, sie würde sie verdrängen, so wie jemand, der an Gott glauben will.

Der Mensch lebt auf verschiedenen Ebenen, einmal auf dem Boden des Bewusstseins, das wir wachend für wirklich halten. Warum eigentlich? In Wahrheit ist der Schlaf der Normalzustand unserer Existenz. Wir sind keine Wachen Wesen, die im Schlaf erholungssuchend untertauchen. Wir sind ein Teil der schlummernden vegetativen Urnatur und tauchen nur stundenweise auf in das grelle Licht des Bewusstseins. – Du meinst, das Wachsein ist der Ausnahmezustand? Der Schlaf ist unsere wahre Natur? – So ist es. Unsere Atmung, Herzschlag und Verdauung, das alles geschieht ohne unseren wachen Verstand. Haare und Fingernägel, ja der ganze Mensch wächst unabhängig von unserem Willen. Ganze Lebensabschnitte entziehen sich unserem Denken. Wer vermag sich an sein Dasein als Ungeborener zu erinnern? Und dennoch werden wir gerade in dieser unbewussten Phase unserer Existenz zu dem, was wir wirklich sind.    [335]

Weißt du, wie alt die Lieblingsfrau des Propheten war, als er sie zur Frau genommen hat? Sie war neun. Mohammed war über Fünfzig, als er um ihre Hand anhielt. Ihr Vater wies den Antrag mit den Worten ab: Sie ist doch noch ein Kind. Erst nach langem Zögern willigte er ein. Sie hatte – so wird berichtet – mit anderen Kindern im Sand gespielt, als man sie rief, um sie zu waschen. Völlig unvorbereitet auf das große Ereignis wurde sie in das Haus des Propheten gebracht, der sie auf dem Brautbett erwartete, sie auf seine Knie setzte und die Ehe vollzog.  [338]

Du glaubst an Gott? – Ich glaube nicht an ihn, ich sehe ihn. – Du siehst ihn? – Er begegnet mir täglich in seiner Schöpfung. – Du glaubst an einen Schöpfer, warum? – Wie könnt Ihr fragen? Wer anders sollte Himmel und Erde erschaffen haben? – Du meinst, alles was ist, muss irgendwann von irgendwem erschaffen worden sein?- Aber ja, gewiss doch. – Und wer hat ihn erschaffen? – Wen? – Den Schöpfer? – Gott ist ewig. – Seltsam, bei Gott habt ihr keine Schwierigkeiten, euch vorzustellen, dass etwas immer war und immer sein wird, ohne Anfang und ohne Ende. Beim Universum jedoch braucht ihr einen, der alles angefertigt hat. Schau dir die unendliche Weite des Alls an, angefüllt mit unzähligen Gestirnen. Es war immer und wird immer sein, endlos und zeitlos. Glaubst du wirklich, dass irgendwer, mag er auch ein Gott sein, so etwas herstellen könnte? – Aber Gott... – Die letzte Offenbarung lautet: ES GIBT KEINEN GOTT! Gott ist nur ein Traum. Aber der Mensch muss träumen, sonst verliert er den Verstand. Wir alle sind unheilbar religiös.

Es gibt drei Arten von Menschen: die einen, die Gott dienen, nachdem sie ihn gefunden haben; die anderen, die ihn suchen und nicht finden; und wieder andere, die ihn nicht suchen, weil sie ihn nicht benötigen. Die ersteren sind glücklich, aber unvernünftig. Die letzteren sind vielleicht nicht glücklich, aber vernünftig. Am ärgsten trifft es die in der Mitte. Sie sind unglücklich und unvernünftig... - Das schwerste am Leben ist der Glaube. - Er verstellt alle realistische Erkenntnis. – Gott ist der Schöpfer von allem, was ist. – Er hat nicht uns, wir haben ihn erschaffen. – Und Mohammed und Jesus? – Sie haben es gewusst. Sie waren Eingeweihte. – Ihr meint, sie wussten, dass es Gott nicht gibt? – So ist es. – Ihr haltet sie für Lügner?  - Sie haben die Menschen nicht belogen. Sie haben ihnen das höchste gegeben, das man Menschen geben kann: die Vision der Unsterblichkeit. Was wiegt daneben die Wahrheit? Gibt es größere Enttäuschung, als wenn einen Idee zur Wahrheit verkommt?

Der Mensch vermag sich nicht damit abzufinden, dass seine Existenz nur von kurzer Dauer ist. Er braucht die Unsterblichkeit für sein Seelenheil so nötig wie Wasser und Luft. Nichts verleiht selbst dem Schwächsten so viel Kraft wie der Glaube an ein höheres Wesen, das ihn beschützt. Ob es Gott gibt oder nicht, ist völlig belanglos. Nicht Gott, sondern der Glaube an ihn ist von Bedeutung. Deshalb sind die Religionen so wichtig. Ohne sie wäre der Mensch nur ein Tier. Seine Gottesebenbildlichkeit ist seine Würde und seine Verpflichtung.

Was Religionen so groß macht, ist die Hoffnung, die die Menschen an sie setzen. Der Glaube an etwas Gutes und Gerechtes macht die Menschen edler. Gott ist nur eine Idee, aber sind unsere Ideale nicht der bessere Teil unserer Existenz? Wie erbärmlich ist alle Realität. Es liegt etwas Tröstliches in der Vorstellung, dass es Gott nicht gibt.

Die größte Offenbarung ist die Stille, ist das Nichts. In den wichtigsten Augenblicken unseres Lebens umhüllt uns Schweigen. Wir schweigen, wenn wir einen Menschen liebend anschauen, wenn wir um ihn trauern. Wir schweigen beim Zuhören, Lesen, beim Nachdenken und Beten. Auf einer bestimmten Ebene menschlicher Erkenntnis versiegen sogar die Gedanken. Die Erleuchtung liegt im Dunkeln, das höchste Sein im Nichtsein. Das gilt auch für Gott.

Warum rennst du suchend umher?
Unsterblichkeit, wie du sie suchst,  
gibt es nicht.  
Lebe, sei vergnügt!  
Trachte nicht nach Überirdischem,  
Erkenne dich selbst!

Was aber bleibt, wenn es Gott nicht gibt? – Du. Du bleibst, größer als zuvor, denn nun bist du nicht mehr bloß eine Marionette, an deren Fäden die Götter ziehen. Heiligkeit ist in jedem Sonnenaufgang. Heiligkeit ist im Regen, ist auf jeden Gipfeln der Berge, in der Weite der Wüste. Heiligkeit ist in alten Bäumen, in stolzen Gesichtern, in jeder Quelle guten Wassers. Heiligkeit ist im Lächeln, das wir anderen schenken, in den Tränen der Trauer, im Lachen unserer Kinder. Die Welt ist bist zum Bersten angefüllt mit den erstaunlichsten Wundern. Nimm nur den gestirnten Himmel. Und du brauchst einen Gott? Der Zeck des Lebens ist das Leben.

Ich erhoffe nichts.

Ich fürchte nichts.

Ich bin frei.

[356]

Eine Frau kann mit Hunderten von Männern verkehren, ohne etwas dabei zu empfinden. Eine Tatsache, ohne die es keine bezahlten Liebesdienerinnen gäbe. In ihrer Phantasie aber kann sie Orgasmen erleben, die weit über der Wirklichkeit liegen. Unterschätze nie die erotischen Träume einer Frau! Eine Frau, die ihren Gatten in Gedanken betrügt, ist unkeuscher als eine, die sich wirklich, aber unbeteiligt einem anderen hingibt. Das ist es, was der Prophet Jesus meinte, als er sagte: Wer seines Nachbarn Weib anschaut und es begehrt, hat mit ihm Ehe gebrochen....Mit ihr (Sexualität) verhält es sich wie mit Gott. Ihr Wesen lässt sich gedanklich nicht erfassen. Ihre Spiritualität lässt sich mit irdischen Maßstäben nicht messen. [362]

Wenn unser Körper gesund ist, nehmen wir ihn nicht wahr. Die Organe arbeiten ohne unser Dazutun. Wir leben dann nicht in unseren Leibern, sondern ziehen uns in unsere Gehirne zurück. Wir lesen, denken, träumen, schweben in Scheinwelten. Wir sind überall, nur nicht in unserem Körper. Diese Verleugnung unseres Körpers ist das größte Hindernis auf dem Weg zu uns selbst. Erst Krankheit und Schmerz lassen uns unseren Leib bewusst werden. Darin liegt der Sinn des Leidens.

Stärker als der Schmerz aber ist die Lust, tief empfundene Lust, außer sich sein vor Glück! Das ist etwas völlig anderes als Vergnügen. Vergnügen im Sinne von Zerstreuung ist Selbsttäuschung. Es verschafft uns zwar lustvolle Gefühle, aber keine wirkliche Lust oder gar ekstatische Glückseligkeit.  [363]

Ist nicht alle Religion ein Elixier der Glückseligkeit? Wie arm ist unsere irdische Existenz ohne diese Droge! Das Paradies: Ein schöner Schein, eine Fata Morgana wie das Glück, wie die Liebe. [367]

Ich gehöre einem Mann

und fürchte nichts so sehr

wie den Tag, an dem er mich

mir selbst zurückgibt.

[368]

Sexualität, Religion und Macht gehören zusammen wie die Finger einer Hand. Der Glaube an Gott gibt dem Leben Sinn und der Gemeinschaft Ordnung. Der Geschlechtstrieb hält den Menschen in Abhängigkeit wie das Wasser den Fisch.  [370]

Sexualität ist für den Menschen so lebenswichtig wie Schlaf, Nahrung und Luft zum Atmen, aber sie sollte immer nur Mittel zum Zweck sein und niemals Mittelpunkt oder gar Ziel unseres Seins.   [371]

Dann erklärte er Orlando mit lebhafter Gebärde seine Vision von einer Menschheit, vereinigt in einem Glauben, regiert von einer Zentralmacht.... Die Unterordnung der Religion  unter die Vernunft. Es wäre das Ende aller Kriege und der Armut, das Paradies auf Erden.  [372]

Es gibt kein größeres Wagnis, als verletzlich zu sein und sich hinzugeben, zu schweigen und zu verzeihen.  [373]

Vielleicht hatte er an das Paradies geglaubt, weil er wollte, dass es existierte. Warum glaubt der unheilbar Kranke an seine Genesung?

Es gibt Fragen, die sollte man nicht stellen. Andere Fragen bleiben nur deshalb offen, weil wir die Antwort fürchten.    [376]

Das Wasser, das das Schiff trägt,  
ist das gleiche, das es verschlingt. [380]  

  E. W. Heine in: Das Halsband der Taube (Angebot: Buch)

[seitenangaben beziehen sich auf: btb verlag, isbn 3-442-72000-1]